Alberto Silva, Gemüsebauer und Sekretär Uniterre (Artikel aus der Spezialausgabe der unabhängigen bäuerlichen Zeitung zur Kampagne «Faire Preise, jetzt!»)

In den Debatten zur Agrarpolitik hören wir (zu) oft das gleiche Argument: Es liegt an den Konsument*innen, ihre Gewohnheiten zu ändern – die Produktion wird folgen. Durch die übermässige Fokussierung auf ihre persönliche Verantwortung (seitens des Staates und anderer Bauernorganisationen) verlieren wir jedoch den Blick auf die wahren Verantwortlichen für die unhaltbare Situation unserer Landwirt*innen.

Die persönliche Verantwortung muss nuanciert betrachtet werden

Unsere Konsumentscheide haben zwar ökologische und soziale Folgen, aber die Macht der Konsumentinnen, eine politische und wirtschaftliche Struktur nur durch das Kaufverhalten zu verändern, ist sehr begrenzt (wenn nicht gleich Null). Durch unsere Einkäufe können wir zur Nachhaltigkeit von Landwirtschaft und Ernährung beitragen, indem wir zum Beispiel den Direktverkauf gegenüber Grossverteilern bevorzugen. Aber diese kleinen, individuellen Gesten können die Problematik der fairen Preise nicht lösen, sie können die industrielle Maschinerie nicht aufhalten. Im Gegenteil: Stützt man sich NUR auf diese Denkweise, werden die Nachhaltigkeitsziele unerreichbar bleiben! Diese liberale und individualistische Sichtweise lässt die Entwicklung kollektiver und politischer Lösungen nicht zu, die es braucht, um die wirtschaftliche Situation der Landwirt*innen zu verbessern. Ausserdem verfallen wir durch die Fokussierung auf die individuelle Verantwortung in ein Übermass an Konkurrenzdenken (Wer ist am umweltfreundlichsten?) und Verurteilung (Du gehst ins Einkaufszentrum, also bist Du unverantwortlich!), was die Spaltung zwischen den Menschen verstärkt.

Wie wäre es, wenn wir den wirklich Verantwortlichen Regeln auferlegen würden?

Die Überschätzung der Macht der Konsument*innen lässt uns einen Akteur vergessen, der nicht zu übersehen ist und doch über enorme Macht und Verantwortung verfügt: die grossen Detailhändler. Der Detailhandel nimmt eine hegemoniale Stellung auf dem Lebensmittelmarkt ein und wird von den politischen Behörden nie behelligt. Das Prinzip der Grossverteiler besteht darin, massenhaft Waren zu vertreiben und zu niedrigen Preisen zu verkaufen, während sie kleine Händler ausschalten, die als teure Zwischenhändler betrachtet werden. Die Detailhändler regieren den Markt: Die beiden orangefarbenen Riesen kontrollieren 80% des Detailhandels und bestimmen sowohl Preise wie auch die Produktionsbedingungen. Da das System keine echte Alternative bietet, haben die Landwirt*innen kaum eine andere Wahl, als alles zu schlucken. Durch den ständigen Druck auf die Produktionskosten tragen die grossen Detailhändler zur Industrialisierung und Übermechanisierung der Landwirtschaft bei. Ausserdem propagieren sie ständig die Idee, dass Lebensmittel so wenig wie möglich kosten sollten. Mit anderen Worten, Lebensmittel sind ein Budgetpunkt, der so weit wie möglich gesenkt werden muss, um mehr andere Güter zu konsumieren. Und schliesslich sind die grossen Detailhändler durch ihre massiven Investitionen in Bäckereistrukturen – also durch die Senkung der Produktionskosten – für das Verschwinden des Handwerks und der kleinen Geschäfte, insbesondere in den Dörfern, verantwortlich. Ganz zu Schweigen von ihren ständigen Aufrufen zum übermässigen Konsum durch Kundenkarten und Rabatte.

Sich nicht im Feind täuschen!

Im Wettlauf um die niedrigsten Preise sind wir alle gefangen. Wir wollen die Konsument*innen nicht vom Direktverkauf abhalten, sondern sie dazu ermutigen, eine Beziehung zu den Produzent*innen aufzubauen. Wir brauchen ihre Unterstützung mehr denn je. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Wenn jeder in seiner Ecke konsumiert (wozu wir gedrängt werden), wird in der Landwirtschaft keines der strukturellen Probleme gelöst. Nur eine kollektive (politische) Bewegung kann die übergrosse Macht der grossen Detailhändler stürzen. Und dazu müssen wir fordern, dass der Staat seine Verantwortung übernimmt und Rahmenbedingungen festlegt, um die Geschäftspraktiken der grossen Akteure der Lebensmittelketten zu regulieren. Denn wir können es uns nicht leisten, auf mögliche freiwillige Verpflichtungen dieser Unternehmen zu warten.