Stellungsnahme zur Biodiversitätsinitiative
Die Schweizer Bevölkerung wird am 22. September über eine Initiative abstimmen welche die Landwirtschaft betrifft: die Biodiversitätsinitiative.
Die Biodiversität ist ein grundlegendes Arbeitsmittel der bäuerlichen Landwirtschaft!
Bäuerinnen und Bauern arbeiten jeden Tag mit der Biodiversität, auf unserem Land, unseren Böden, auf den Feldern, Obstplantagen und Weinbergen mit allen Arten und Sorten von Nutzpflanzen, in der Viehzucht mit den unterschiedlichsten Arten und Rassen. Unsere Kollegen, die Förster und Fischer, arbeiten in und mit ihrer entsprechenden Umwelt. Das organische Leben, seine Entwicklung, die Gesamtheit der artenübergreifenden Beziehungen und seine Fruchtbarkeit sind die Grundlage unserer täglichen Arbeit und ermöglichen die Ernährung unserer Gesellschaft. In diesem Kreislauf der lebendigen Biodiversität bebauen wir unsere Felder. Das ist bäuerliche Landwirtschaft!
Fakten zur Biodiversität
Der anhaltende Verlust an Biodiversität ist kaum sichtbar, stellt jedoch eine sehr ernste Bedrohung für die Stabilität der Ökosysteme und der Nahrungssysteme dar. Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU 2023) sind 35% der evaluierten Arten ausgestorben oder gefährdet und 12% sind potenziell gefährdet. Darüber hinaus sind 48% der begutachteten Lebensräume gefährdet und 13% sind potenziell gefährdet. Die Situation ist also für fast die Hälfte aller in der Schweiz untersuchten einheimischen Arten kritisch und die Folgen werden schwerwiegend sein, wenn wir den Kurs dieser Entwicklung nicht ändern, denn die Vielfalt der Arten und ihrer Genetik ist «unser Auffangnetz und die Grundlage unserer Ernährung» und «sie trägt zur Regulierung des Klimas bei und (sie) reinigt Luft und Gewässer.» (BAFU 2023)
Ursachen für den Verlust der Biodiversität
Eine wichtige Ursache für den Verlust der Biodiversität liegt in der Zerstörung der Lebensräume und Nahrungsreserven, die der Ernährung dieser Biodiversität dienen. Dazu tragen die Urbanisierung, die Produktion, der Konsum und die Umweltverschmutzung der Industriegesellschaft einschließlich der landwirtschaftlichen Umweltverschmutzung und die Zerstörung der wirtschaftlichen und agronomischen Strukturen der vielfältigen bäuerlichen Landwirtschaft bei, die auf einem Gleichgewicht zwischen Polykultur und Viehzucht beruht.
Zerstückelt durch Siedlungen und extrem dichte Verkehrsnetze aus Straßen und Eisenbahnlinien, haben sich die Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten degradiert. Der Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche pro Jahr beträgt etwa 800 ha, was hauptsächlich auf die Ausdehnung von Siedlungsgebieten und Wäldern zurückzuführen ist.
Welche Rolle für die Landwirtschaft?
Das von der Agrarpolitik verordnete Streben nach «Wettbewerbsfähigkeit» der Landwirtschaft und der Preisdruck sind ein zentraler Faktor für die Zerstörung vielfältiger Strukturen und eine zunehmende Entkoppelung der Nahrungsmittelproduktion von der Erhaltung der landwirtschaftlichen Biodiversität (z.B. Aufgabe der extensiven Weidewirtschaft im Tiefland). Das einschlägige Vokabular der Agrarpolitik bei der Einführung von ökologischen Ausgleichsflächen und von Flächen zur Förderung der Biodiversität zeigt die Problematik auf. Das Streben nach kurzfristigen Produktivitätssteigerungen durch Vergrößerung, Mechanisierung, Spezialisierung und räumliche und zeitliche Homogenisierung der landwirtschaftlichen Praktiken, wie z. B. das gleichzeitige Heuen oder Ernten auf dem gesamten Plateau innerhalb weniger Tage, muss so ausgeglichen werden und erfordert Erhaltungsflächen. Statt einfacher (low-tech) und arbeitsintensiver agronomischer Techniken und Strukturen die Biodiversität kultivieren, sollen Reserven geschaffen und die negativen Auswirkungen dieses blinden Produktivitätsstrebens kompensiert werden. Diese landwirtschaftlichen Reserve- und Ausgleichsflächen sind mit 19,3% der LN bereits heute beachtlich, verfehlen aber ihr Ziel. Die einzige Maßnahme, die wirkliche Verbesserungen bringt, ist die Vernetzung.
Nur durch die generelle Verbreitung kurzer Versorgungskreisläufe, der Relokalisierung der Verarbeitungsstrukturen und einer deutlichen Aufwertung der bäuerlichen Lebensmittelproduktion kann die Zerstörung der Biodiversität gestoppt und umgekehrt werden.
Die Initiative scheint diese mit dem Wirtschafts- und Handelssystem verbundenen Überlegungen leider nicht berücksichtigt zu haben. Ein solcher Vorschlag verlagert die Problematik des industriellen Lebensmittelsystems, indem er den Selbstversorgungsgrad zugunsten eines erhöhten Transport- und Importaufwands senkt, mit anderen Worten, indem er die durch unser Produktions- und Konsumsystem verursachte Gefährdung der Biodiversität jenseits unserer Grenzen auslagert.
Welchen Wert soll die bäuerliche Agrarproduktion haben ?
Zwischen 1985 und 2023 ist der gesamte Produktionswert der Landwirtschaft um 16% von 14,2 Mrd. CHF auf 11,9 Mrd. CHF gesunken. Diese Summe macht heute weniger als 1% der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung aus, während 1950 der Anteil der landwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung noch 11% betrug. Der Anteil des Haushaltsbudgets, der für Lebensmittel ausgegeben wird, beträgt 10%, einschließlich Restaurants und alkoholischer Getränke.
Um aus dieser Spirale der Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft auszubrechen, muss die Nachfrage nach der Produktion der bäuerlichen Landwirtschaft insbesondere durch öffentliche Auftragsvergabe und Marktregulierung gestärkt werden. Die Labels in den Händen der großen Handelsketten ermöglichen es nicht, aus den Nischen der Handelsstrategien herauszukommen. So beträgt der Marktanteil für Bioprodukte im Jahr 2023 11,2 %. Die konservierende Landwirtschaft oder zirkuläre Landwirtschaftssysteme mit Mischkulturen und Viehzucht haben keine entsprechende Anerkennung auf dem Markt.
Uniterre kämpft für eine konstruktive und verbindende Gesellschaftsdebatte, die nicht auf den Bauern und Bäuerinnen herumhackt, aber auch die notwendigen Veränderungen für eine nachhaltige Transformation unseres Ernährungssystems nicht herunterspielt. Der Verlust der Biodiversität gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir sind jedoch nicht der Meinung, dass die Biodiversitätsinitiative eine integrative Betrachtung der bäuerlichen Landwirtschaft und der Biodiversität bietet. Aus diesem Grund hat unsere Generalversammlung beschlossen, bei dieser Abstimmung Stimmfreigabe zu erteilen.
Medienkontakt:
Rudi Berli fr/all, 078 707 78 83, r.berli@uniterre.ch