Artikel aus der letzten Zeitung von August 2024 von Uniterre, geschrieben von Vanessa Renfer, Bäuerin und ehemalige Sekretärin von Uniterre
Polarisierende Meinungen und Positionen hinsichtlich Landwirtschaft und Ökologie stehen zunehmend im Mittelpunkt der Debatten zum Thema Landwirtschaft – das so entstandene Feuer, in das immer wieder Öl gegossen wird, ist nur schwer unter Kontrolle zu bringen. Wie und warum ist es so weit gekommen? Und welche Lösungsansätze gibt es, um aus diesem Schwarz-Weiss-Denken auszubrechen?
Im Königreich der Stereotypen gibt es die bösen Umwelt verschmutzenden Bäuer*innen und die unwissenden Möchtegern-Öko-Bohemiens. Das ist zwar überspitzt dargestellt, doch es ist die traurige Feststellung, die viele von uns immer wieder machen. Wenn diese Positionen als absolute Wahrheiten dargestellt werden, wird jeglicher Versuch einer Diskussion unterbunden – was bleibt, ist Geringschätzung und Abkapselung.
Zugrunde liegt dieser Perspektive mangelndes Wissen; etwas, das sich allmählich eingenistet hat. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass in unseren westlichen Breitengraden die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den Kontakt zur Erde verloren und ihre Wurzeln vergessen hat. Über das bäuerliche Leben geistern viele falsche Ideen herum. Nehmen wir das bestbekannte Beispiel der Batteriehaltung von Hennen: In der Schweiz ist diese Art von Tierhaltung seit 1992 verboten, wird aber noch immer in Diskussionen und als Gegenbeispiel herangezogen – viele Menschen wissen nämlich im Grunde nicht, was das Verbot genau bedeutet und was sich seither geändert hat.
Ignoranz kann jede Person und Gruppe betreffen – sie ist daher der erste Feind, den es zu bekämpfen gilt. Sie hindert uns Menschen nicht nur am Vorwärtskommen, sondern dient auch als Treibstoff für unergiebige und destruktive Wortgefechte. Als Bäuer*innen müssen wir auch demütig sein, und anerkennen, dass wir nicht alles wissen und uns auch irren können. Die Angst vor Veränderungen haftet dem Menschen natürlicherweise an und bremst leider viele positive Entwicklungen. Doch zurück zum Beispiel mit den Batterie-Hühnern: Sicherlich haben einige Viehzüchter*innen früher argumentiert, dass eine Umstellung auf Bodenhaltung mit Auslauf nie funktionieren werde. Doch wer möchte heute schon die Zeit zurückdrehen? Dies ist umso interessanter, weil dieselben Debatten über Haltungs- und Auslaufsysteme nun auch in Europa geführt werden, wo die Käfighaltung allmählich durch Systeme ersetzt wird, die in der Schweiz seit über 30 Jahren erfolgreich praktiziert werden.
Ein weiterer Faktor, der zu dieser Konfliktsituation beiträgt, ist die prekäre Lage, in der sich die Bauern und Bäuerinnen befinden. Wenn einem das Messer bereits am Hals sitzt, wenn die eigenen Finanzen Sorgen bereiten, ist man nicht in der Lage, Zeit und Energie freizusetzen, um andere Praktiken und Methoden auszuprobieren, zu wagen. Hat man den Tunnelblick aufgesetzt, dann wird es zunehmend schwierig, sich eine andere Art und Weise vorzustellen, wie das Leben als Bäuer*in aussehen könnte. Das Paradoxon ist umso grausamer, weil Methoden, die mehr Nachhaltigkeit fördern, grundsätzlich einen finanziellen Mehrwert versprechen. Die Ernüchterung ist jedoch oft gross, wenn Bäuer*innen erkennen müssen, dass das versprochene Zückerchen die Investitionen nicht deckt und sich ihre sozioökonomische Situation nicht wirklich oder überhaupt nicht verbessert. Der fehlende Bezug gründet auch in der inkohärenten Haltung der öffentlichen Politik. So entstehen immer wieder grosse Spannungen zwischen der Arbeitsrealität der Bäuer*innen und den Forderungen nach einer besseren Berücksichtigung unserer Umwelt. Die Produzent*innen werden den erbarmungslosen Gesetzen des Marktes und dem unfairen Wettbewerb durch Importprodukten ausgesetzt. Gleichzeitig werden von ihnen tugendhafte Praktiken erwartet, welche die Produktionskosten in die Höhe treiben, während der Markt die Kosten nicht decken kann und die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel jedes Jahr unter Druck geraten.
Angesichts dessen scheint der Clash unausweichlich! Wir müssen uns vielmehr ehrlich die Frage stellen: Wer hält diesen Zwist aufrecht und wer hat ein Interesse daran, dass er andauert?
Im Vorstand von Uniterre sind wir der Überzeugung, dass sich Landwirtschaft und Ökologie nicht als unversöhnliche Feinde verstehen sollten, ganz im Gegenteil. Bäuer*innen haben seit jeher in Synergie mit ihrer Umwelt gearbeitet. Die Wende hin zu einer Landwirtschaft, die das Lebendige dominiert, ist im Vergleich zur langen Menschheitsgeschichte eigentlich noch sehr jung.
Man kann sich deshalb über die Taktik des Schweizerischen Bauernverbandes wundern, der es nicht für relevant hielt, unsere Kampagne ◊Faire Preise – jetzt!“ zu unterstützen, aber beträchtliche Summen (soweit wir wissen rund 2 Mio. Franken) investiert, um gegen einen Initiativtext anzukämpfen, den er für extrem hält, der aber am Ende die Bäuer*innen wohl nur sehr marginal betreffen würde. Welchem Interesse folgt die grösste Bauernorganisation des Landes, wenn sie die Spaltung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen aufrechterhält? In diesem Kontext ist es schwierig, keine Verbindung zu den wirtschaftlichen Interessen grosser Agrarkonzerne oder zu den Inhabern bestimmter Labels herzustellen. Denn ihre Existenz verdanken sie einzig dem Unterschied zwischen ökologischer und weniger ökologischer Produktion. Zur Erinnerung: Labels sind oft eine gute Ausrede, um gute, ja oft übertriebene Margen zu erzielen. Ausserdem verwirren sie die Konsumierenden, indem sie die Wahl der Lebensmittel künstlich verkomplizieren.
Die von der La Via Campesina propagierte bäuerliche Landwirtschaft befreit die Agrarpolitik von einem immensen Verwaltungsaufwand und bietet gleichzeitig effiziente Lösungen für die zahlreichen Herausforderungen, welche die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten erwarten: die Entwicklung des Klimas, die gesundheitlichen Herausforderungen im Kontext des Zugangs zu gesunden Lebensmitteln für die gesamte Bevölkerung, die Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen der Bäuer*innen und der Erhalt der Artenvielfalt – all das können wir mit anderen Methoden bewältigen, um die lang erwartete Versöhnung von Landwirtschaft und Ökologie herbeizuführen. Uniterre ruft deshalb dazu auf, dieser unerträglichen und nutzlosen Dichotomie dringend den Rücken zu kehren und sich endlich auf ein echtes Gesellschaftsprojekt für Landwirtschaft und Ernährung zu konzentrieren. Und zwar gemäss folgender Redewendung: ◊Alleine geht es schneller, gemeinsam kommt man weiter.“ •