Editorial von Martine Gerber, Bäuerin, abgeordnete im Grossrat Waadt und Vorstandsmitglied UNITERRE

Unsere europäischen Nachbar*innen sind seit mehreren Monaten wütend. Dass der Groll auch hierzulande spürbar ist, ist ganz normal. Das Hofsterben, der Sinnverlust bäuerlicher Arbeit, die Freihandelsabkommen, immer mehr administrative Arbeit, der widersprüchliche Anspruch, billig produzieren zu wollen und gleichzeitig natürliche Ressourcen zu schonen, die Margen der Grossverteiler, der Klimawandel… Die Liste ist lang, und die Gründe, warum wir wütend sind, wollen geteilt sein!

Die Investitionen zur Steigerung der technischen Effizienz haben der Landwirtschaft während einigen Jahrzehnten zwar wirtschaftliche und soziale Vorteile gebracht. Trotzdem ist klar, dass diese Effizienz auch die natürlichen Ressourcen belastet, zu einer Verarmung der Produktionsgrundlagen geführt hat und die Landwirtschaft so in die Fänge der globalisierten Wirtschaft geraten ist.

Unsere Wut ist deshalb mehr als legitim. Sie muss jetzt Antrieb sein, um diese Situation zu verändern. Wir müssen die Ursachen der Probleme an der Wurzel bekämpfen, mit mehr Transparenz und Weitsicht, ohne aber dabei einen Sündenbock zu suchen. Es gibt genug Gründe, um breit zu mobilisieren und über Gräben hinaus zu handeln. Ernährungssouveränität anstreben und dabei gegen den Verlust der Biodiversität ankämpfen und Preise fordern, welche die Produktionskosten decken und die Agrarpolitik stabilisieren: Das müssen unsere Prioritäten sein!

Mir scheint, dass in den vergangenen 50 Jahren die Bevölkerung und mit ihr die politischen Vertreter*innen es verpasst haben, den Zusammenhang zwischen Nahrungsmittel- und Umweltressourcen sowie landwirtschaftlichen Ressourcen herzustellen. Die Akteure der globalisierten Wirtschaft haben – ohne dass wir es gemerkt haben – am Abbau kurzer Kreisläufe und lokaler Produktionsketten gearbeitet. Nur so konnte es zu diesem absurden Gegensatz von Natur und Landwirtschaft, zu einem Gefühl des Sinnverlustes und der mangelnden Anerkennung unserer Arbeit kommen. Doch eine Fatalität ist das nicht.

Wagen wir zu fragen: Wer hat ein authentisches Interesse daran, unsere Landwirtschaft zu verteidigen, und wer möchte vielmehr ihre Spaltung vorantreiben? Glauben Sie nicht, dass der Moment gekommen ist, um dieser verhängnisvollen Flucht nach vorn ein Ende zu setzen? Ich möchte mit den Worten von José Bové schliessen, dem Mitgründer der Conféderation paysanne: «Bäuerinnen und Bauern brauchen ein faires Einkommen und Anerkennung – sie ertragen es nicht, Spielball von Freihandelsabkommen zu sein.»