Editorial der unabhängigen bäuerlichen Zeitung von Romain Beuret, Agronom ETH, Präsident IG-Weidebeef, Getreideproduzent

Sie reissen nicht ab und gleichen sich – News, die Fragen aufwerfen. Die letzte: Die Schweiz importiert zum ersten Mal in ihrer Geschichte mehr Käse, als dass sie exportiert. Es ist das Resultat von 25 Jahren Absprache zwischen der Politik, der Bundesverwaltung und der Agrarindustrie, die dafür sorgen, dass die nationale Milchproduktion untergraben wird. In einem Land, indem der soziale Frieden über allem steht, konnte nie eine echte Partnerschaft zwischen den verschiedenen Akteur*innen im Milchsektor aufgegleist werden. Das Sagen haben in der Schweiz und anderswo noch immer die Anhänger*innen von unterdessen überholten Wirtschaftsmodellen – sie sind so gierig nach Geld wie Mücken nach frischem Blut. Diese übermässig liberalen Modelle treiben die Spezialisierung und Vergrösserung der Betriebe ungebrochen voran. Die Folge: Landwirtschaft verliert immer mehr an Bedeutung und das Leben der Bauernfamilien an Qualität. Diese Entwicklung fördert auf gefährliche Weise die Verletzlichkeit der Landwirtschaft in wirtschaftlicher, energetischer, gesundheitlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht.

Das Gleiche gilt auch für den Fleischsektor: Importe drücken den Inlandpreis, die Zentralisierung des Schlachtens und Verarbeitens unter «leistungsstarken und ultrahygienischen» Bedingungen zerstören die kleinen, dezentralisierten Handwerksbetriebe. Arbeitsplätze, das Savoir-faire sowie der Mehrwert gehen so auf dem Land verloren.

Schliesslich der Getreidesektor: Die Handelspartner*innen zahlen die Richtpreise der Branche nicht – oder nur mit Verspätung –, das Zollsystem besteht nicht zugunsten der Produzierenden und fördert den Massenimport von vorgebackenem und gefrorenen Backwaren. Die Folge: Im Namen der Marktlogik geraten Getreideanbäuer*innen arg in Bedrängnis, handwerkliche Mühlenbetriebe bekunden Probleme und kleine Bäckereien werden durch unfairen Wettbewerb in den Ruin getrieben. Und all dies geschieht in völliger Gleichgültigkeit. Die Verteidiger*innen des herrschenden Systems täuschen vor, der Bevölkerung Zugang zu günstiger Nahrung zu verschaffen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Einerseits dient dieses System dazu, die Profite der Nahrungsmittelindustrie und der Grossverteiler zu steigern, andererseits ermöglicht es unserer Konsumgesellschaft, nicht überlebenswichtige und oft sinnlose Güter zu konsumieren. Ganz zu schweigen von Junkfood, der die Gesundheitsprobleme unserer Gesellschaft nur noch mehr verschärft.

Die tatsächlichen Kosten, welche die Zerstörung der Wirtschaftsstrukturen auf dem Land mit sich bringt, werden ganz klar unterschätzt. Die kurzsichtige Vision der Wirtschaft, die einige unserer etwas naiven und visionslosen Politiker*innen und Bundesangestellten indoktriniert, führt zu bedeutenden Ungleichheiten, die unsere Gesellschaft zerstören: Ernährungssicherheit wird eingeschränkt, Reichtum konzentriert sich bei einigen wenigen, die Resilienz der gesamten Gesellschaft wird immer tiefer. Wollen wir einen kollektiven Schiffbruch vermeiden, müssen wir uns den aktuellen Realitäten bewusst werden. Wir brauchen eine Neuorientierung – und zwar jetzt!