Der Corona-Virus ist ein tragisches Phänomen. Er kann aber auch Augenöffner sein für Erwägungen, die sich in der aktuellen agrarpolitische Diskussion nutzen lassen. – Blenden wir zurück: Mangels finanzieller Anreize im eigenen Land haben viele Volkswirtschaften, inklusive diejenige der Schweiz, die Möglichkeiten internationaler Arbeitsteilung genutzt, und die Herstellung auch wichtiger Produkte wie Medikamente oder elektronischer Elemente etc. nach China ausgelagert. Zu Jahresbeginn wurde nun die Welt vom Corona-Ausbruch in China überrascht. In rascher Folge wurden erst ganze Ortschaften abgeriegelt, dann stellten vorerst 70 Airlines ihre Flüge von und nach China ein. Corona breitete sich aber geographisch weiter aus. Ausfälle weiterer Transportinfrastrukturen für Luft-, See- und Landverkehr begannen den Güterverkehr in Asien und Europa zu erschweren. Im Extremfall wurden ganze Regionen von allen Abhol- und Lieferaktivitäten gesperrt. Doch nicht nur Transporte wurden beeinträchtigt: Hinzu kam, dass Corona auch die Güterproduktion selbst in China reduziert hat. Zuerst in logistischen Fachmagazinen, jetzt aber auch in der Öffentlichkeit, taucht vermehrt die besorgte Frage auf, woher die bisher aus China importierten Medikamente und Elektronikteile nach Aufbrauchen der Lager denn zeitgerecht und in ausreichender Zahl kommen sollen? Und weiter wird plötzlich reflektiert, ob China (oder andere Länder) wichtige Versorgungsabhängigkeiten eigentlich auch politisch zu nutzen beginnen könnten.

  • Auch ohne die noch andauernde Entwicklung absehen zu können, zeigt uns Corona schon heute mehrerlei. Erstens: Internationale Logistikketten sind hoch verletzlich. Sie können auch ohne Krieg völlig überraschend, und sogar gleichzeitig, gestört werden. Zweitens: Handelsabkommen sind gut, nützen aber wenig, wenn die benötigten Güter im Ausland gar nicht ausreichend vorliegen.
  • Dies lässt durchaus Schlüsse für die Landesversorgung, namentlich auch die AP22+ zu: Wir brauchen eine Agrarpolitik, die 1. unseren Selbstversorgungsgrad sicher nicht noch weiter reduziert, die 2. für Landwirte echte finanzielle Anreize schafft um in der Schweiz zu produzieren (was den Kürzungen von Direktzahlungen entgegensteht), 3. die davon ausgeht, dass Dritte nicht immer Nahrungsmittel für uns zur Verfügung haben, und dass 4. diese nicht immer störungsfrei aus dem Ausland angeliefert werden können. Die bittere Wahrheit ist: Wir brauchen eine starke schweizerische Agrarpolitik für eine Welt, in der leider nicht immer alles funktioniert!

Hermann Dür, ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL) und Unternehmer. Dieser Beitrag ist als Leserbrief in der NZZ erschienen.

Hier 4 Grundthesen zum Thema: SOUVERÄNITÄTSPOLITIK ALS DIMENSION DES AGRARFREIHANDELS

  1. Macht- und Souveränität können mit Agrarfreihandelsabkommen zusammenhängen. – Warum? Grundnahrungsmittel sind für die ganze Bevölkerung unverzichtbare und daher sensible Güter. Wer die Verfügungsgewalt über Nahrungsmittel hat, hat Macht über Andere.
  2. Soweit Agrarfreihandel die Inlandproduktion durch Importe ersetzt, können Grundnahrungsmittel zu einem gewichtigen souveränitätspolitischen Pfand zu Lasten des Importeurs werden.
  3. Dabei gilt: Je höher die Importabhängigkeit bei Grundnahrungsmittel ist (je tiefer also der Selbstversorgungsgrad), desto glaubwürdiger können Nahrungsmittel im internationalen „Powerplay“ eingesetzt werden.
  4. Als Durchsetzungsintrumente kommen erfahrungsgemäss a) effektive Lieferunterbindung oder – heute wahrscheinlicher – b) Erpressung damit (via schwarze Listen, vage Andeutungen, Guillotineklauseln, etc.) in Frage.

Aus dem Vortrag von Hermann Dür im Rahmen des Landwirtschaftlich Klub des Bundeshauses vom 7. März 2018.