Neue genomische Techniken, ein Spezialgesetz in Diskussion, ein Moratorium, das 2030 ausläuft, eine Initiative für eine strenge Regulierung und Aktivisten, die mehr Radikalität fordern. So könnte man die Situation an der GVO-Front zusammenfassen, die wir versucht haben, in diesem Artikel wiederzugeben.

Das Moratorium von 2005, das die Verwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren verbietet und im Jahr 2025 ausläuft, wurde bereits bis 2030 verlängert. Daher braucht es ab diesem Zeitpunkt es eine Nachfolgeregelung. 

Neue GVO-Techniken

In den letzten Jahren sind neue Techniken der Gentechnik entstanden. Diese schleusen keine Gene fremder Organismen mehr in das Genom ein (z. B. Genschere, CRISPR/Cas9). Die multinationalen Gentechnikkonzerne machen sich diese Feinheiten zunutze und setzen alles daran, dass diese neuen Technologien von den strengen Vorschriften für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ausgenommen werden können. Unabhängig von der Frage, ob fremde Gene in einen Organismus eingebaut werden oder nicht, bleiben die Risiken für Mensch und Umwelt auch mit den neuen Technologien bestehen.

 Die wachsende Zahl von Studien über die unbeabsichtigten Auswirkungen der Gentechnik zeigt deutlich, dass diese neuen Technologien nicht so sicher sind, wie sie vorgeben zu sein. Als die ersten GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) aufkamen, versprach man uns, dass diese Technologie den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln massiv senken würde. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Seitdem ist der weltweite Einsatz von Pflanzenschutzmitteln geradezu explodiert.

Patente und Lizenzen hindern Bauernhöfe daran, ihr eigenes Saatgut zu produzieren. Es ist daher wichtig, dass die gentechnikfreie Züchtung in Zukunft geschützt und nicht durch Patente eingeschränkt wird. Die Konsument*innen lehnen GVO nach wie vor grösstenteils ab, während die grossen Einzelhandelsunternehmen und der SBV die neuen Gentechnikverfahren eher befürworten. Der SBV erhofft sich davon schnellere Fortschritte, um die Herausforderungen der Zukunft besser bewältigen zu können. Um Ziele zu erreichen, die mehrere oder sogar eine Vielzahl von Genen betreffen (z. B. Dürreresistenz), bedarf es jedoch – auch hier – viel Geduld, Zeit und Hoffnung, bis ein brauchbares Ergebnis erzielt wird.

Die Initiative für gentechnikfreie Lebensmittel

Diese Initiative ergibt sich aus dem oben beschriebenen Kontext.

  • Ziel ist es, die freie Wahl der Konsument*innen zu gewährleisten, indem es verpflichtend ist, alle GVO und daraus hergestellten Produkte zu deklarieren.
  • Zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt ist eine strenge Risikobewertung aller GVO erforderlich. Gemäss dem Vorsorgeprinzip muss eine gentechnikfreie Landwirtschaft möglich bleiben und geschützt werden.
  • Die Kosten einer möglichen Koexistenz sowie die Haftung im Schadensfall werden von den GVO-Anwender*innen getragen.
  • Der Bund muss die gentechnikfreie Forschung, Züchtung und Produktion aktiv unterstützen und die gentechnikfreie Züchtung darf nicht behindert werden (z.B. durch Patente).

 Ziel der Initiative ist daher nicht, gentechnisch veränderte Organismen zu verbieten. (Dies ist eine strategische Entscheidung nach langen Diskussionen!). Allerdings müssen strenge Regeln eine gentechnikfreie Landwirtschaft sowie die freie Wahl der Konsument*innen ermöglichen und gewährleisten.

Politische Reaktion

Am 4. September 2024, einen Tag nach der Lancierung der Initiative, gab der Bundesrat bekannt, dass im Dezember 2024 eine Vernehmlassung zu einem Spezialgesetz über neue Gentechnikverfahren stattfinden werde. Natürlich ist davon auszugehen, dass Bundesrat Albert Rösti der Agrochemie-Lobby dient und den neuen Gentechnikverfahren um jeden Preis Tür und Tor öffnen will.

 Initiative unterschreiben: Alle weitere Informationen und Unterschriftenbögen finden Sie hier https://www.protection-des-aliments.ch/

 Hier sind  alle Unterschriftensammlungsanlässe aufgeschaltet, zögern Sie nicht, sich anzumelden: https://act.protection-des-aliments.ch/evenements

 

Um der demokratische Debatte Raum zu geben, haben wir die kritische Position zur Initiative vom Kollektivhof Joran, Mitglied von Uniterre, hier veröffentlicht.

Lebensmittelschutz-Initiative: eine (un-)heimliche Kapitulation?

Als bäuerlicher Betrieb und Mitglied von Uniterre wurden wir gebeten, die Initiative „Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative)“ (1) zu unterschreiben. Nachdem wir den Text gelesen hatten, fanden wir ihn zu problematisch, um die Unterschriftenbogen in unseren Gemüsekörben zu verteilen. Wir haben daraufhin eine Diskussion im Vorstand von Uniterre angeregt, da Uniterre Teil des Initiativ-Netzwerkes ist, welche die Initiative unterstützt. Es geht uns nicht darum, die Initiative zu sabotieren, sondern darum, eine andere Perspektive einzubringen

 

Warum diese Initiative?

Diese hatten sich bis dahin gegen GVO ausgesprochen – ihr Argument: Die Konsumierenden wollen keine GVO. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Meinung der Bevölkerung seither geändert hat.

Warum diese Initiative schwammig und voller Kompromisse ist

Laut den Initiant*innen werden die neuen GVO nicht als GVO gelten, wenn nichts unternommen wird. Dieser Kampf wird seit ungefähr zehn Jahren geführt, seit die Erfindung der CRISPR-Cas9-Technologie eine Offensive der Industrie- und Wissenschaftslobby ausgelöst hat, um die Gesetze zu umgehen, welche die Verwendung von GVO einschränken. Dies ist unserer Meinung nach der einzige positive Punkt des Textes: Artikel 1 besagt, dass jede Pflanze, die gentechnisch verändert wurde, auch mit den neuen Methoden als GVO anzusehen ist.

Schliesslich schränkt Artikel 6 (3) die Patentierbarkeit von Lebewesen (Pflanzen und Tiere) ein, die durch Gentechnik erzeugt wurden, um der massiven Offensive multinationaler Konzerne wie Syngenta entgegenzuwirken. Diese wollen nämlich die geschaffene Bresche nutzen, um Lebewesen mit bestimmten Eigenschaften oder Gensequenzen zu patentieren – unter dem Vorwand, sie „entdeckt“ zu haben. Damit werden Patente auf gentechnisch veränderte Sorten in Artikel 6 als legitim anerkannt!

Der Obstmarkt zeigt, dass die Patentproblematik über die Frage von Monopolen und Lizenzgebühren hinausgeht. Seit die patentierten „Club“-Äpfel auf den Markt sind, sind die Standards für Grösse und Färbung viel strenger geworden, und diejenigen, die nicht patentierte Sorten anbauen, haben Schwierigkeiten, ihre Produkte mit diesen höheren Standards an die Grossverteiler zu verkaufen. Dieser Marktdruck kann zu staatlichem Druck durch Direktzahlungen hinzukommen. Diese können leicht dazu verleiten, bestimmte Getreidesorten, die als weniger gesundheitsschädlich oder ertragreicher gelten, anderen Sorten vorzuziehen, im Gegensatz zu neuen GVO von einer weniger starken Lobby profitieren. Werden Bäuerinnen und Bauern in Zukunft gezwungen sein, GVO zu akzeptieren, um wirtschaftlich überleben zu können?

Warum wir uns nicht an dieser Kampagne beteiligen

Der Inhalt des Textes stellt unserer Meinung nach ein strategisches Problem dar: Indem er Bedingungen an die Einführung von GVO knüpft, akzeptiert er automatisch deren Einführung. Alle Organisationen, die angeblich strikt gegen GVO sind, schliessen sich dieser Initiative an, ohne dass es eine Alternative gibt, die eine kompromisslose Ablehnung von GVO zum Ausdruck bringt. Es sieht wie ein Gegenvorschlag des Parlaments und nicht wie eine Initiative der Opposition aus!

Schlimmer noch: Die Kompromisse werden in der Kommunikation nicht als solche offengelegt, angefangen beim Titel der Initiative „ Für gentechnikfreie Lebensmittel“. Diese Unklarheit muss unbedingt beseitigt werden: Kämpfen wir dafür, dass alle Lebensmittel gentechnikfrei sind, oder dass bestimmte Lebensmittel gentechnikfrei bleiben? Und wenn ja, wer wird Zugang zu diesen privilegierten Lebensmitteln haben, während Lebensmittel, die GVO enthalten, natürlich billiger sind werden?

Nach Ansicht der Initiant*innen wäre dies der richtige Weg, um der Macht der Lobbyist*innen etwas entgegenzusetzen. Es gäbe keine Chance, GVO einfach zu verbieten, ohne zu erklären, warum. Das Ergebnis ist, dass den Stimmbürger*innen die Möglichkeit genommen wird, GVO klar abzulehnen, ihnen aber der Eindruck vermittelt wird, sie könnten es.

Wir haben kein Vertrauen in die Institutionen des Bundes, die für die Zulassung und die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich sein werden. Es ist klar, dass die Agroindustrie die Gunst der Stunde nutzen wird, um die Zulassung bestimmter Sorten zu erreichen. Wenn das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) der Meinung ist, dass sie gefördert werden sollten und es wirtschaftliche Vorteile zu geben scheint, sei es für die am stärksten industrialisierten Betriebe oder für Betriebe, die am Rande des Überlebens stehen, werden diese GVO angebaut werden. Damit ist das Tor bereits weit offen für eine Ausweitung des Anbaus von GVO und früher oder später, in der Folge der einen oder anderen Krise, wird der Einsatz zum Normalzustand …

Wir möchten die Problematik einer Dachorganisation ansprechen, der man die Regelung eines Problems anvertraut, ohne wirklich hinzuschauen, was sie genau macht. Wir können nicht glauben, dass sich die Mehrheit der Mitglieder der Schweizer Allianz Gentechfrei in diesen Stellungnahmen wiederfindet. Wir wissen, dass es schwierig ist, an allen Fronten zu kämpfen und dass es bequem ist, die politische Arbeit an andere zu delegieren. Wir müssen jedoch feststellen, dass wir, wenn wir anderer Meinung sind, und wir nicht zumindest ein Feedback geben und kritisch mitdiskutieren, letztlich als Steigbügelhalter*innen für eine Politik fungieren, die nicht unsere eigene ist. Wir finden, dass die Initiative nicht kohärent ist, dass sie sich darauf einlässt, für ein Problem mitverantwortlich zu sein, anstatt sich dagegen zu wehren. Es ist möglich, sich zu engagieren, ohne Kompromisse einzugehen, ohne seine Werte zu verraten, anstatt von vornherein zu kapitulieren.

La ferme collective du Joran